Als ich von Nordirland nach Deutschland umgezogen bin, war mir fast alles in Deutschland neu und fremd …und spannend.
Ich habe natürlich Deutsch lernen müssen, das war klar. Aber es gehört so viel mehr dazu, wenn es darum geht, in einem neuen Land richtig anzukommen. Die Mentalität, die Traditionen und Sitten, die Denkweise der Menschen, die Geschichte, die Riten, das monetäre System, der Humor, das Liedgut, die Feiertage, Schulanfang, Jugendweihe, die Politik, Wintersportarten, die Autobahn, das Fernsehen, der Gottesdienstablauf, das Gesundheitssystem, das Bier, die Literatur, Schneeschippen, Skifahren, Winterräder, Mülltrennung, links-fahren, Sauna, FKK, Silvester, Hausschuhe, Weltmeister, Wetter und, und, und… Auch wenn ich Bürger des “United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland” bleibe, habe ich mich immer bemüht, mich hier in meiner neuen Heimat, mit ihrer für mich neuen Kultur, anzupassen. Das muss sein, finde ich.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es heutzutage für viele Menschen ‘fremd’ ist, sonntags in die Kirche zu gehen. Vielleicht wurden sie nie christlich erzogen und haben nie einen Bezug zur Kirche gehabt. Oder vielleicht gingen sie als Kind zu Weihnachten in die Kirche, aber das seit Jahren auch nicht mehr. Kirche und Gottesdienstbesuch sind heute für viele nicht (mehr) Teil des Sonntags. Ich denke, wenn jemand, der nicht kirchlich sozialisiert ist, sich entscheidet, in die Kirche zu gehen, ist es fast wie ein Umzug ins Ausland. In vieler Hinsicht ist es, als ob sie ein neues Land besuchen, wo vieles – wenn nicht alles – fremd ist. So wie ich Kirchengemeinden kenne, werden diese neuen Gottesdienstbesucher eine neue und fremde Kultur entdecken. Sie werden herausgefordert, eine neue Sprache zu lernen. Vielleicht auch die Musik und das Liedgut. Die Riten und Traditionen sind auch hier in ‘Kirchenwelt’ anders. Dinge laufen anders ab, als im ‘wirklichen’ Leben. Alles ist Neuland.
Die Frage aber ist: sollte man sich bemühen müssen, sich hier in dieser neuen kirchlichen Glaubenswelt anzupassen? Ein Teil von mir sagt, ‘Ja, klar!’. Ich lebe in Deutschland. Es gibt eine deutsche Kultur, eine deutsche Sprache, eine ‘deutsche’ Lebensweise. Als Gast in diesem Land berücksichtige ich dies alles und passe mich an, so weit ich kann. Und genau so sollen diejenigen es auch tun, die als Gäste ins Neuland des Gottesdienstes kommen. Gewöhn’ dich daran. Anpassen!
Auf der anderen Seite frage ich mich, ob das so richtig ist. Ich meine, im extremsten Fall könnte man den Kirchengemeinden heute eine Art Neu-Kolonialismus vorwerfen. So wie damals die alten Missionare der Kolonien in Afrika nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihre Kultur, weitergegeben haben, geben wir (unbewusst / unabsichtlich?) auch unsere Kirchenkultur mit dem Glauben weiter! Wir erwarten, dass Neueinsteiger sich mit unserer Kirchenkultur schnell anfreunden, wenn sie sich bei uns wohl fühlen wollen.
Der christliche Glaube hat sich immer in die Kultur seines Kontextes vor Ort niedergelassen. So wie Gott als Kind in der Krippe in unsere Welt hineingeboren wurde, wird der christliche Glaube immer wieder in die ganz verschiedenen kulturellen Welten der Menschheit hineingeboren. Eine tolle Sache! Es gibt dabei nur ein Problem. Christen stehen immer wieder in der Gefahr, ihren Glauben und die Kultur, in der dieser Glaube gelebt wird, gleich zu stellen. Beide sind wichtig und müssen respektiert werden. Nur von einem davon aber sind Christen berufen weiterzugeben.
Können wir unseren Glauben an unsere Mitmenschen weitergeben, ohne gleich zu erwarten, dass sie auch unsere (kirchliche) Kultur übernehmen müssen? Müssen Neueinsteiger sich anpassen? Wenn ja, wie weit? Und wo ist Kirchenkultur Hindernis zum Glauben?
Spannende Fragen. Was denkt ihr?
Blessings,
Barry
P.S. Hier bin ich ‘On Tour’ mit Lesungen aus meinem Buch. Herzliche Einladung!